Einmal Raubkunst und zurück Restitution im Fadenkreuz der Weltpolitik

Einmal Raubkunst und zurück Restitution im Fadenkreuz der Weltpolitik
ZIN
So, 04.08.2024 | 07:35 - 08:20

Politik (D 2023)

Wann, wenn nicht jetzt, heißt es in Afrika und auch bei den Sámi im hohen Norden Finnlands. Koloniale Raubkunst kann endlich zurückkehren. Doch viele Probleme fangen damit erst an. Restitution sei politisch gewollt, betonen Annalena Baerbock und Claudia Roth auf Reisen in ehemalige Kolonien. Doch nun wird der Vorwurf laut, mit der Rückgabe von Kunstschätzen würde eine umfassende Wiedergutmachung von Kolonialverbrechen vermieden. Noch vor wenigen Jahren schien es undenkbar: Deutschland gibt einen Großteil der umstrittenen Benin-Bronzen zurück nach Nigeria. Jahrelang hatte man juristisch argumentiert, warum die Bronzen trotz kolonialer Verbrechen "rechtmäßig" in Deutschland seien. Nun aber – in Zeiten des Postkolonialismus – bestimmen verstärkt moralische Verpflichtungen das kulturpolitische Handeln. Leichter ist es trotzdem nicht immer geworden. So kritisieren Nachfahren nigerianischer Sklaven derzeit die aktuelle Rückgabe der weltweit hoch gehandelten Benin-Bronzen, da mit diesen Trophäen Kulturgüter nach Benin-City zurückkehrten, die auf verbrecherischem Sklavenhandel beruhen. Wird also an einstige Täter restituiert? Wurden zu wenige Nachfahren von Betroffenen in die Restitutionsüberlegungen mit einbezogen? Die Rückgabe von Raubkunst führt oft zu Streitigkeiten innerhalb der Länder, an die restituiert wird. Denn an wen genau sollen die geraubten Kulturschätze zurückgegeben werden? An Nationalstaaten, deren willkürliche Grenzen oft selbst Folge des Kolonialismus sind? Oder an die Nachfahren traditioneller Herkunftskulturen innerhalb dieser Staaten, die einst konkrete Opfer kolonialer Übergriffe waren? An das heutige Namibia zum Beispiel oder an die Genozid-Opfer der Herero und Nama? An die Bundesrepublik Nigeria oder an den Oba von Benin-City? An die Republik Kamerun oder an den Fon der Nso, dessen königliche Vorfahren die Deutschen hinrichten ließen und dessen Königspalast sie niederbrannten und ausraubten? Die Debatten darum haben gerade erst begonnen. Welche Argumente sprechen trotzdem für die "Gebt alles zurück"-Forderungen der Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy? Und was ist dran an den "Ihr verspielt das Welterbe"-Warnungen der Ethnologin Brigitta Hauser-Schäublin? Die Kehrtwende in Sachen Raubkunst betrifft nicht nur den globalen Süden, sondern auch Europa. In aller Stille ringen Polen und Deutsche um die kostbaren Handschriften der "Berlinka" in Krakow: um Beethovens 8. Sinfonie, Schillers Doktorarbeit und Humboldts einmalige Zeichnungen. Auch das einzige indigene Volk Europas, die Sámi im hohen Norden Skandinaviens, haben berechtigte Rückgabeforderungen – nicht nur an Berlin. Hochaktuell derzeit: Mitten im Krieg streiten die Ukraine und Russland vor holländischen Gerichten um das Skythen-Gold von der Krim, das 2014 in Amsterdam beschlagnahmt und seitdem an einem geheimen Ort "auf Eis" gelegt wurde. Russland, so heißt es in Kiew, sähe die Ukraine bis heute als eine Art Kolonie, der man weder die Souveränität noch ihre Kunstschätze zugestehen müsse. All diese Fälle sind ein kleiner Krimi für sich – und werfen zugleich prinzipielle Fragen auf: Wie intensiv müssen sich die Groß- und Kolonialmächte von einst auf Rückgaben von Kulturschätzen einlassen, um die Wunden der Vergangenheit zu heilen? Oder versuchen sie, durch das Herausrücken von Kulturschätzen eine umfassende Wiedergutmachung von Völkermord, Plünderei und Verschleppung zu vermeiden, wie Aktivistinnen und Aktivisten vermuten? Ob strahlende Museumspreziosen oder fast vergessene Beutekunst-Trophäen – sie sind plötzlich ins Fadenkreuz der großen Weltpolitik geraten.